Dienstag, 8. September 2009

Die Zeit....

Die Zeit.....




Schnell verging die Zeit....Ich erinnere mich noch ganz genau wie diese 4 Mädels hier ankamen. Seitdem sind mehr als 10 Monate vergangen und inzwischen ist auch die letzte Italienerin wieder zurückgekehrt....





Aber nicht nur die Italienerinnen haben sich aus Brasilien verabschiedet, sondern auch Carl. Zurück bleiben der Strand von Ipanema, Männer, die seine Frisur nachahmen, vergessene Unterhosen,viele Geschichten und ich....Alle vermissen Carl und manchmal fällt es mir schwer hier ohne ihn, aber auch ich werde bald meine Heimreise antreten.
Doch momentan stecke ich noch mitten im brasilianischen Leben und in meiner Arbeit.
Schweren Herzens begleiteten wir Carl zum Flughafen und verabschiedeten uns von ihm. Ich konnte bei dem Abschied sehen, was bald auf mich zukommen wird. Auf der Rückfahrt kam aber plötzlich die Realität meinem Nachdenken in den Weg, als wir von einem Polizisten mit einem riesigen Gewehr aus dem Verkehr gewinkt wurden. Dieser Polizist suchte lange nach Fehlern, bis er schliesslich einen gefunden hatte. Dieser kleine Fehler hätte uns beinahe eine Rückfahrt mit dem Bus, 3 Jahre Führerscheinverlust für den Fahrer und viel Stress beschert, aber gemeinsam kratzten wir alles, was wir in den Taschen fanden, zusammen und steuerten dem Polizisten etwas zu seinem 2. Monatsgehalt hinzu. So ging das Leben ohne Carl und ohne 100R$ weiter.......

Meine Arbeit macht mir momentan sehr viel Spaß, aber nimmt auch sehr viel Zeit in Anspruch.
Während ich jede Woche von Mittwoch bis Freitag in Lapa schlafe, erlebe ich unheimlich viele Dinge...
Die Arbeit in dem Haus ist sehr anstrengend, aber auch sehr schön. Täglich kommen Kinder von der Straße um dort zu essen, zu duschen, Aktivitäten zu machen oder einfach nur ein Haus zu haben. Wir bieten den Kindern den Vormittag über mehr als nur ein Haus und etwas zu essen. Wir bieten eine Familie, eine große Familie. An manchen Tagen ist diese Familie sehr übersichlich, aber manchmal wächst sie auch bis zu 30 Personen. Doch Familie heißt nicht nur nehmen, sondern auch geben und Regeln beachten. In Rio gibt es sehr viele Projekte, aber die meisten sind anders, viel offener. Die Kinder gehen und kommen, wie es ihnen gefällt, sie dürfen rauchen, sie können unter Drogeneinfluss stehen, etc. Doch bei uns ist das verboten, weil eine Familie Regeln und Ordnung benötigt. Bei uns gibt es feste Zeiten zum kommen und gehen und kommen darf nur, wer nicht berauscht ist. Während der Zeit im Haus müssen die Kinder auch auf das Rauchen verzichten, denn in einer Familie sollte man auch auf seine Mitmenschen achten. Somit verhindern wir, dass die Kinder schon morgens Drogen nehmen, denn sie lieben es nach Casa Rafael zu kommen und möchten nicht an der Tür abgewiesen werden. Sollten sie die Regeln nicht beachten, werden sie für die kommenden Tage ausgeschlossen, was für sie eine sehr harte Strafe darstellt. Es kommen meistens die selben Kinder und so kann man auch sehr persönlich auf ihre Probleme eingehen. Ein schönes Beispiel stellt für mich das Pärchen dar, was seit einer Woche zu Casa Rafael kommt. Sie, 16 Jahre und schwanger, lebt mit ihrem 18jährigen Freund auf der Straße. Als sie letzte Woche morgens durch die Straße liefen, kamen sie mit einem Jungen, den sie kannten mit, um auf die schnelle ein kostenloses Frühstück einzunehmen. Doch während des gemeinsamen Frühstücks merkten sie dass es im Projekt anders zugeht. So blieben sie länger und nahmen auch noch an den Aktivitäten teil und obwohl wir an diesem Tag 30 Personen waren gefiel es ihnen sehr. Seit diesem Tag stehen sie jeden Morgen ganz früh vor der Tür. So haben wir es geschafft, dass sie anfangen Pläne für die Zukunft zu machen, denn sie sind sich einig, dass sie das Kind nicht auf der Straße großziehen möchten. Sie wird kommende Woche zu Arzt gehen und er wird seine Dokumente abholen, um eine „richtige“ Arbeit anzufangen. Sie fangen jetzt an das Geld, was sie verdienen zu sammeln, um sich ein Zimmer zu mieten...wenn sie weiterhin ins Projekt kommen und unsere Hilfe annehmen, dann werden sie in kurzer Zeit nicht mehr auf der Straße leben und es schaffen dem Kind ein richtiges Zuhause zu bieten...





Dieses Foto hat eine unserer Italienerinnen in Rio geschossen und ich finde es wunderschön, deshalb stelle ich es hier in den Blog.

Abgesehen von der Arbeit in Casa Rafael gibt es noch die Arbeit auf der Strasse. Ich habe leider letztens keine Kamera dabeigehabt, sonst hätte ich ein wunderschönes Foto gemacht. Neben den ganzen dreckigen, kleinen Füßen, die unter der notdürftig aufgespannten Plastikplane hervorschauten, stand eine wunderschöne Plastikblume und ein Windrädchen, das sich langsam im Wind drehte. Diese zwei, wahrscheinlich geklauten Spielsachen, zeigten mir,dass ich mit Kindern arbeite. In diesem Augenblick wurde mir seit langer Zeit erstmals wieder bewusst wie jung diese Kinder eigentlich sind. Dem Verhalten nach sind die Kinder oft sehr reif, obwohl die meisten wesentlich jünger als mein 14-Jähriger Bruder sind. Doch die leeren, vom Kleber berauschten, Blicke und die vernarbten Gesichter weisen oftmals auf eine Vergangenheit hin, die keiner erlebt haben möchte. Die Flucht in die Traumwelt, die das unfassbar günstige Crack bietet, was sie sogar auf Schulden kaufen können, bietet oftmals die einzige Aussicht auf ein besseres Leben. Die Mutter, die ihrem kleinen, vielleicht 8 Jahre altem Sohn die Plastikflasche, mit den Lösungsmitteln, vor die Nase hält um ein wenig Ruhe zu haben, während sie in dem Topf über den 2 Ziegelsteinen rührt. Die Schlägerei zwischen zwei berauschten Jungs auf der 3 spurigen Straße, auf der die Autos hupend mit unvorstellbarer Geschwindigkeit vorbeirasen. Eine Umarmung, die einem Tränen in die Augen treibt, weil die Dünste aus der Plastikflasche einem den Atem nehmen und weil man merkt wie wichtig diese Nähe für den Jungen ist....dies sind kleine Bilder, die ich aus meinem Alltag mit euch teilen möchte. Bilder, die man nicht als Bilder festhalten könnte und bei denen mir die Worte fehlen, um sie zu umschreiben. Bilder, die ich nie aus meinem Kopf verdrängen kann oder möchte.....

Außerdem bekommt man während des Lebens in Lapa auch viel vom Alltag in Rio mit. Seit bereits einer langen Zeit gibt es in Rio die Aktion „Choque de Ordem“. Michael hat während seines Aufenthaltes einen ganz interessanten Artikel in seinem Blog geschrieben. Rio lebt von der Schattenwirtschaft*.

*Schattenwirtschaft:
In den Entwicklungsländern vollzieht sich mit der Zeit ein Wandel. Die Zahl der Beschäftigten im primären Sektor geht zurück, während im sekundären,tertiären und quartären Sektor ein langsames Ansteigen zu beobachten ist. Doch während dieser Entwicklung beginnt der informelle Sektor immer mehr an Bedeutung. Man bezeichnet ihn als alternativen Beschäftigungssektor oder Schattenwirtschaft. Es handelt sich dabei um Aktivitäten, die nicht vom Staat kontrolliert werden. Es werden keine Steuern gezahlt und es gelten keine gesetzlichen Vorschriften(zB Kinderarbeit, Mindestlohn). Dazu gehören besonders in den Städten kleine Tätigkeiten zB Straßenhandel und Schuhputzen. Es fehlt die soziale Absicherung, aber weil oftmals keine Vorkenntnisse nötig sind liegt der Anteil an Frauen und Kindern extrem hoch. Der informelle Sektor ist ein Ausdruck der Unterbeschäftigung. Wer in der Schattenwirtschaft beschäftigt ist, bleibt auch weiterhin arm, zumal keine Nachhaltigen Arbeitsplätze geschaffen werden. Der informelle Sektor ist ein Merkmal von Überlebenswirtschaft.

Die Aktion „Choque de Ordem“ versucht das unmögliche, die Straßen Rios zu bereinigen. Dies geht auf allen Ebenen.
Letztens lief ich Abends durch Lapa, als plötzlich ein grosser Pickup der Prefeitura(Stadtverwaltung) mit einem Van voller Polizisten im Schlepptau angefahren kommt. Die Leute von der Prefeitura und die Polizisten springen aus dem Auto, umringen den ahnungslosen Popcornverkäufer und fangen an den Stand abzubauen und die Personalien aufzunehmen. Während ich weiter dem Straßenverlauf folge, wandelt sich das Leben auf der Straße. Der sonst ruhige Ablauf, bei ein wenig Musik, an einem der Essensstände, verwandelt sich nach der Vorwahnung einiger die Straße entlangrennender Kinder in ein hastiges Zusammenpacken und wegrennen. Die im Stau feststeckenden Polizisten können nur von weitem zuschauen, wie alle Essensstände verschwinden und eine leergefegte Straße zurückbleibt. Doch bereits am nächsten Abend ist das Leben auf der Straße wie immer...
Die Engraxates(Schuhputzer), die morgens immer in Casa Rafael vorbeikommen sind auch direkt von diesem Umdenken betroffen. Oftmals werden sie von Polizisten des Platzes verwiesen und nach Hause geschickt. Dies ist auch nicht weiter schlimm, weil sie einfach um die nächste Ecke gehen und dort weiterputzen. Sollten sie aber denselben Polizisten wiedertreffen......
Auch die Straßenkinder sind von der Aktion betroffen. Letztens kamen sie total nervös und verstört in Casa Rafael an. Sie wurden nachts von der Polizei an ihrem Platz aufgesucht, seitdem könnte ich auch kein Bild mehr von der notdürftig aufgespannten Plastikplane schiessen. Denn die Polizisten nahmen den Jungen alles was sie besaßen. Decken, Matratzen, Anziehsachen, Plastikplanen....und die Kinder die nicht schnellgenug wegrannten, konnten sich auch noch Schläge einfangen. Die Polizei hier in Rio ist sehr berühmt für ihre Umgangsform und das nicht im positiven Sinne......

Am Wochenende freuen sich die Kinder von Casa Angelo immer über mein Kommen. Meistens unternehmen wir lustige Sachen. In den letzten Wochen sind wir sehr oft zu einem See gegangen, weil das Schwimmbecken in der Cidah nicht mehr gereinigt wurde. Um zu diesem See zu gelangen durchläuft man zwar eine sehr komische Gegend, in der keiner nachts freiwillig rumlaufen möchte, aber der See ist dafür umso schöner. Nachdem wir uns vergewissert haben dass es in dem See keine Krodile gibt, haben wir angefangen zu schwimmen und am Rand Fussball zu spielen. Ich genieße die Zeit in Casa Angelo sehr....


Ich könnte noch mehr über Casa Angelo schreiben, aber mir fehlt jetzt gerade die Zeit. Bitte nehmt es mir auch nicht übel, aber ich komme in den letzten Wochen meistens nur 1Std ans Internet und schaffe es einfach nicht allen zu antworten. Aber meine Zeit hier in Rio geht langsam zu Ende und ich werde nicht mehr viele Sonnenuntergänge bestauenen können....




Bald bin ich aber wieder in Deutschland und kann euch alles persönlich erzählen........Ich freu mich schon!!!

Basti

2 Kommentare:

bi hat gesagt…

Danke Basti, dass Du uns das Jahr an Deinen Erfahrungen hast teilnehmen lassen.

KJ (zur Zeit in der Wüste) hat gesagt…

Hi Basti, wir haben deinen Blog sehr aufmerksam verfolgt, zumal die übrigen Kommunikationskanäle, wie Telefon, Post, Mail nach Rio nur sehr eingeschränkt nutzbar waren. Dass du nicht jeden Tag den Blog gefüttert hast, zeigt, dass du keine Langeweile hattest, was für uns auch ein gutes Zeichen war. Jetzt wuenschen wir dir noch eine reibungslose, sichere Heimreise am Sonntag. Alle freuen sich auf deine Heimkehr.